Gewöhnlich entstehen Skulpturen in den Ateliers der Künstler und folgen dort einer Idee oder einer Inspiration, einem Anlass oder einer Historie. Nur selten weiß ein Bildhauer schon vorher, wo seine Skulptur einmal stehen wird, und wenn doch, dann geht es eher um eine thematische Dimension, die mit der Beauftragung gegeben ist.
Auch wenn Oweltinga, die Hüterin des Lebens, als Kleinskulptur längst ihre Liebhaber gefunden hat – ins Leben gerufen wurde die sieben Meter hohe, sich im Tagesrhythmus drehende Bronzeskulptur eigens für die Ostmole im Hafen Unteruhldingens. Sie verbindet sich mit diesem Ort nicht nur durch ihren Namen: Oweltinga, der ursprüngliche, für das Jahr 1058 urkundlich belegte Name Uhldingens. Vor allem verbindet sie sich mit einem menschheitsgeschichtlichen und geographischen Kraftfeld, das sich an dieser Stelle versinnlicht und seine Impulse zugleich aussendet und empfängt.
Die Geschichte Uhldingens verbindet sich überall mit dem Wasser: besonders sichtbar über die Pfahlbauten bis in die Stein- und Bronzezeit hinein, im Mittelalter dann über bedeutende Schifffahrts- und Handelswege, und natürlich immer über die Fischerei, die für die Ortsansässigen nicht bloß Einnahmequelle war, sondern auch eine tätige, von Frömmigkeit getragene Verbindung mit einer das Leben tragenden, nährenden Natur.
In diese Tiefe der Geschichte reicht die Skulptur Oweltinga zurück, und ihr Beiname Hüterin des Lebens deutet an, dass sie nicht bloß eine ästhetische Qualität aufweist. Sie lässt vielmehr jene alte Verbindung von Mensch und Natur wiederaufleben, in der sich Geist vor Natur verneigt, weil er sich von ihr getragen weiß, und Natur vor Geist, weil sie sich von ihm erkannt weiß – eine wechselseitige, zutiefst dynamische Abhängigkeit, die in der Oweltinga mit ihren mythischen Anklängen zur menschenähnlichen Gestalt wird.
Da ist ihre Walflosse, die wie ein schwerer Anker in die Erdenmitte zu weisen scheint und in der die fabelhaften Wassernymphen und Nixen aufleben. Dann ihr Kopf, der sich muschelförmig zur Erde neigt und in einer Bewegung innehält, die den tragenden rechten und den herabgeneigten linken Arm harmonisch ausgleicht. Ganz oben der Mensch, der mit seinem Werkzeug, dem Boot, nicht in scheinbarer Autonomie gründet, sondern an einer geistdurchdrungenen Natur teil hat. Sie ist damit nicht mehr ‚Gegenstandsbereich’, sondern ein lebendiges Wesen – eines, das sich an diesem Ort, der Ostmole in Unteruhldingen, als Oweltinga erhebt. Vor ihrer Gestalt kann sich der Mensch nur dann als Krone der Schöpfung behaupten, wenn er sich auch zu verneigen versteht – nicht abstrakt und weltanschaulich, sondern im Erleben ihres Wirkens und Erleidens an diesem konkreten Ort in dieser konkreter Gestalt. Dann lebt der Mensch nicht von der Natur, sondern mit ihr, und er muss ihr ihre Gaben nicht entreißen, sondern kann sie von ihr empfangen.
Diesem harmonischen Einklang gibt die Skulptur in einer weiteren Eigenschaft Ausdruck: in ihrer 24-stündigen Drehung, beginnend morgens gegen den Sonnenaufgang, dann tagsüber dem See zugewandt und nachts dem Land und den schlafenden Menschen. Dabei werden Sonnenauf- und Sonnenuntergang zur stets genauen Zeit vom Ruf eines Muschelhorns begleitet, das oben im ‚Boot’ installiert ist.